Von Schichttorten und Nacktfotos: Wann ist ein Foto sexistisch, wann respektvoll?

Eine Vorstellung, die ich interessant finde, strukturiert das Universum, wie es jeder Mensch persönlich wahrnimmt, nach dem Prinzip der Schichttorte. Die unterste Schicht ist das eigene Bewußtsein, unsere Gedanken und Gefühle, die in materialistisch-physikalistischer Betrachtungsweise von biophysikalischen Prozesse in unserem Gehirn hervorgebracht werden, man kann daher etwas überspitzt sagen: die unterste Schicht der Weltwahrnehmung ist das eigene Gehirn. Die darüberliegende Schicht ist das Innere des eigenen Körpers, bzw. die Teile davon, die nicht unmittelbar an mentalen Prozessen mitwirken: Herz, Lunge, Gedärme, Muskeln, Knochen etc. Diese Organe bemerken wir normalerweise nicht sonderlich, erst in bestimmten Situationen treten sie deutlich in den Vordergrund – bei seelischer Erregung pocht das Herz (Platon sah es daher als Sitz der Tapferkeit an, heute betrachtet man es als Wohnort der Liebe), bei Hunger knurrt der Magen, bei sexueller Erregung werden die Genitalien aktiv. Die Wechselwirkung der zweiten Schicht mit dem Rest des Universums erfolgt über die dritte: die Körperoberfläche, ein Interface zwischen dem „ich“ und der Welt, zu der im westeuropäischen Kulturkreis im erweiterten Sinne ggf. auch die Kleidung gehört. Die letzte Schicht schließlich ist diese Welt – alles außerhalb von uns selber. Viele Menschen unterteilen diese letzte, geometrisch weitaus größte Schicht noch in mehrere weitere: menschliche Zivilisation und nicht-menschliche Natur, Erde und Weltraum usw.

Teil der vierten Schicht, der Welt außerhalb unserer selbst, sind die anderen Menschen. Wir sehen meistens ihre dritte Schicht, die Körperoberfläche, und können anhand von Mimik, Gebärden, Körperhaltung und natürlich sprachlichen Äußerungen erschließen, was der andere denkt und fühlt, was also in seiner untersten Tortenschicht gerade passiert.

Ich vermute übrigens, dass keine zwei Menschen identische Gedanken und Gefühle haben, ja dass Gedanken und Gefühle zweier unterschiedlicher Menschen sich viel stärker unterscheiden als man gemeinhin denkt. Wir sehen eben nur die dritte Schicht und schließen dadurch indirekt auf die erste, in die wir nicht direkt hineinschauen können. In der Zukunft könnten fortgeschrittene Neurotechnik und Nanomaschinen dies ändern. Tomographie und Enzephalogramme kann man als erste, simple Schritte in diese Richtung ansehen.

Bilder, insbesondere Fotos, sind insofern paradox, als dass sie einerseits Teil der vierten Schicht des Betrachters sind (sie gehören ja physikalisch zur Welt außen um ihn herum), zugleich aber auch einen kleinen Teil seiner vierten Schicht zeitlich einfrieren, sie in einem vergangenen Zustand konservieren. Handelt es sich um Fotos von Menschen, so speichern sie die optischen Sinneseindrücke, die wir von der dritten Schicht (Haut/Kleidung) der aufgenommenen Personen empfangen.

Es wird viel darüber diskutiert, ob und/oder unter welchen Umständen Fotos oder sonstige Abbildungen von nackten Menschen als sexistisch anzusehen sind. Dies ist nicht immer leicht zu beantworten, und hängt auch vom subjektiven Empfinden ab, außer in Extremfällen: Fotografiert jemand einer Frau ohne ihr Einverständnis unter den Rock, dann es das ganz klar ein sexistischer Übegriff, der David von Michelangelo oder die Venus von Milo dagegen sind zweifellos hohe Kunst, die die Ästhetik des menschlichen Körpers einfängt. Die meisten Nacktfotos befinden sich jedoch irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen.

Wer meinem Twitteraccount folgt, weiß vermutlich schon, dass ich Bilder von nackten Frauen mag und schön finde, da ich öfters welche in meine Timeline stelle. Dabei versuche ich die Fotos so auszuwählen, dass sie nach meinem persönlichen Empfinden schön und respektvoll und nicht billig oder sexistisch sind.

Woran mache ich das fest? Meist natürlich ganz einfach am „Bauchgefühl“ – man spürt auf irgendeine Weise, ob ein Bild sexistisch ist oder nicht.

Ein Beispiel – zwei verschiedene Nacktfotos: Yatima (Nude in Public Activity) und Olivia Paige (Playboy). Das Playboy-Bild finde ich sexistisch, das NIP-Bild aber ansprechend. Weshalb?

Sind wir ehrlich: Olivia Paige sieht beleidigend dumm aus. Die stupide Mimik scheint geradezu darauf ausgelegt zu sein, die Vorstellung der „dummen, sexuell verfügbaren Blondine“ zu evozieren. Yatima dagegen wirkt pfiffig, amüsiert und überlegen.

Das Gesicht ist die Zone der dritten Wirklichkeits-Tortenschicht, die unmittelbar an die erste angekoppelt ist. In der Mimik schlagen sich unsere mentalen Prozesse nieder. Es ist kaum möglich, mit dem Gesicht zu lügen.

Damit mir ein Nacktfoto gefällt, muss vor allem das Gesicht des Models ansprechend sein. Ich muß anhand der Mimik den Eindruck haben, dass es sich um eine intelligente, freundliche Person handelt, mit der ich mich unterhalten könnte.

Die Art, wie das Foto aufgenommen ist, sollte diesen Aspekt hervorheben: Szenerie, Pose, Hintergrund u. ä. müssen darauf ausgelegt sein, den ansprechenden Charakter des Models zu betonen, ihm ein günstiges optisches Umfeld zu verschaffen, in dem er zum Ausdruck kommen kann.

Bei Yatima wird dies durch das Zusammenspiel von Umgebung (Öffentlichkeit in Dresden) und Gestus der Dame erreicht. Ihre freche, etwas herablassende Ausstrahlung scheint zu sagen: „Ha! Ihr habt wohl nicht erwartet, mich nackt in der Öffentlichkeit zu sehen, aber mir ist völlig egal, was ihr davon haltet, ich habe dabei Spaß!“

Ein anderes Bild das meinem Gefühl nach schön gemacht ist, ist beispielsweise dieses. Das Model scheint friedlich und glücklich Nacktheit in freier Natur zu genießen.

Der Unterschied zwischen sexistischen und schönen Nacktfotos kann also ganz einfach formuliert werden: Ein sexistisches Bild stellt die Frau als geistloses Wesen dar, reduziert auf krude sexuelle Ausstrahlung – ein ansprechendes dagegen zeigt sie als Mensch mit Gedanken, die Situation vergnüglich, erregend oder sonstwie angenehm findend.

Im Tortenmodell bedeutet dies: Das Model hat sich die vierte Schicht, die Welt um sich herum, so eingerichtet, dass seine erste Schicht – Gefühl und Verstand – davon angenehm berührt ist. Das Foto fängt diese Situation ein und konserviert sie. Beim Betrachten des Fotos bin ich derweil nur Gast: Ich kann mich an dem schönen Anblick der nackten Frau erfreuen, aber diese ist mit sich und der Welt bereits völlig zufrieden, mich braucht sie dazu nicht. Ich muß dafür dankbar sein, glücklich zuschauen und sie bewundern zu dürfen.

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